18. Architekturbiennale

Wegen Umbau geschlossen

Resümee zum Deutschen Pavillion

AIT

Ausgabe Januar/Februar 2024

Seite 12 + 13

Im Oktober 2023 waren wir auf dem Weg zur Biennale. Im Gepäck die Kritik am Deutschen Pavillon: Deutschland präsentiere sich als Weltmeister der Mülltrennung.
Entsprechend lustlos näherten wir uns dem Pavillon und umso überraschter waren wir, gleich am Eingang wunderschöne Terrazzofliesen zu sehen, die wir am liebsten gleich eingepackt hätten. Ein Materialhaufen folgte dem anderen. Wir waren begeistert von den Qualitäten des Abfalls, nein der Wertstoffe. Junge Menschen emsig und quirlig diskutierten und werkelten überall. Was soll das alles? Wir tauchten ein in die Gedanken des Kuratorenteams.

So erfahren wir, dass der Deutsche Pavillon der Architekturbiennale 2023 sich nicht als Ausstellung versteht, sondern als Handlungsansatz für eine neue Baukultur.

Am Ende jeder Biennale werden tonnenweise Ausstellungsmaterialien aufwändigst durch Venedig transportiert. Nur ein kleiner Teil davon wird weiterhin genutzt. Die meisten Abbruchmaterialien landen auf Mülldeponien oder Recyclinghöfen.
Um diesen Prozess in Frage zu stellen und den Besucher:innen vor Augen zu führen um welche Mengen wertvoller Rohstoffe es sich handelt, wurde der Deutsche Pavillon nach Ende der Kunstbiennale 2022 in ein Materiallager umgewandelt. Materialien aus über 40 verschiedenen Länderpavillons und Ausstellung wurden gesammelt, mithilfe digitaler Datenbanken katalogisiert und für die Weiterverarbeitung bereitgestellt.

Unter dem Titel „Open for Maintenance / Wegen Umbau geöffnet“ bleibt der Pavillon der Kunstbiennale 2022 erhalten und die Künstlerin Maria Eichhorn wird an der Gestaltung des Deutschen Pavillons für die Architekturbiennale 2023 beteiligt. Kunst- und Architekturbiennale werden auf diese Weise erstmals räumlich und programmatisch miteinander verwoben.

Vorgenommene, bauliche Eingriffe orientieren sich ausschließlich an den örtlichen Bedürfnissen.
Die Treppen vor dem Portikus überzieht eine große inklusive Rampe und ermöglicht so einen einfachen Zugang für verschiedene Besuchergruppen. Neben dem Materialdepot entstehen eine Werkstatt, ein ökologischer Sanitärraum, ein Versammlungsraum und eine Teeküche.

In Zusammenarbeit mit venezianischen und internationalen Initiativen, Universitäten und Handwerksbetrieben wurden während der gesamten Architekturbiennale soziale Infrastrukturen in Venedig durch Studierende und Auszubildende des Handwerks gepflegt, repariert und instandgesetzt.

Reparatur erfordert Wissen und Fähigkeiten – der fachliche und kreative Austausch fand in gemeinsamen Projekten statt, die vor Ort geplant und realisiert wurden. Das Machen stand dabei im Vordergrund, um Erfahrungen zu sammeln, die skalierbar sind.

Das Gesamtprojekt begann aber bereits mit der Kunstbiennale 2022.

Die Künstlerin Maria Eichhorn entwickelte die Idee, den Deutschen Pavillon für die Laufzeit der Biennale zu translozieren und an gleicher Stelle originalgetreu wieder aufzubauen: „Relocating a Structure“. Zur weiteren Analyse ließ Maria Eichhorn des Fundament ausgraben und Putzschichten entfernen. Dadurch kamen die Nahtstellen zwischen den beiden Gebäudeteilen innerhalb des Pavillons zu Vorschein: der 1909 erbaute Bayerische Pavillon und die noch heute bestehenden durch die Nazis vorgenommen Veränderungen von 1938.

Durch die partiellen Entfernungen werden nicht nur die Übergänge erkennbar, sondern auch die unterschiedlichen Raumvolumina. Während der Bayerische Pavillon in seinen Proportionen den Menschen bedachte, wirken die 1938 vorgenommenen Erweiterungen, Aufstockungen und der Ersatz der ursprünglichen schlanken ionischen Säulen am Eingang durch klobige Pfeiler einschüchternd und überwältigend – charakteristisch für die Architektur des Nationalsozialismus.

Der Titel „Relocating a Structure“ kann im übertragenen Sinn interpretiert werden, denn das „Verrücken von Strukturen“ in einen neuen Kontext stellt nicht nur eine Verbindung zwischen Architektur und Geschichte des Pavillons her, sondern greift auch grundlegende Fragen menschlicher Existenz und ethischer Verantwortung auf.

Mit diesem Ansatz schlägt der Deutsche Pavillon einen Bogen zum Motto der Architekturbiennale 2023 „The Laboratory of the Future“ der Kuratorin Lesley Lokko. Erstmalig stellten Aussteller:innen und Künstler:innen aus dem Globalen Süden die Mehrheit dar. Neue Aspekte, Perspektiven und Ansätze sorgten teilweise für Irritationen bei Besucher:innen, denn deren Ästhetik, Historie und Traditionen sind oft ungewohnt, weil unbekannt. Sie stellen unsere Sehgewohnheiten und Erlerntes in Frage oder auf den Kopf. Essentielle Fragen nach Bodeneigentum, Naturaneignung, Klimagerechtigkeit, Machtverhältnissen und nicht zuletzt den Folgen des Kolonialismus sind unumgänglich und herausfordernd.

Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft verschmelzen. Neues Denken ist möglich. Eine neue Baukultur braucht Visionen und positiven Spirit. Sie kann nur gelingen, wenn wir uns vorstellen können was möglich ist. Das zeigen die Vielfalt der 18. Architekturbiennale und der Beitrag des Deutschen Pavillons eindrücklich.